Der letze Weg eines Drachen

Ein Drachenhersteller erzählt mir seinen schlimmsten Alptraum: Dass alle 5000 Drachen, die er in seinem Leben gebaut hat, und von denen die meisten noch irgendwo als Gebraucht-Geräte herum liegen, auf einmal zu Reparatur und Check zu ihm zurück kehren würden.
Es stimmt schon. Kaum jemand, den ich kenne, schmeißt alte Drachen weg. Und wenn ich das anspreche, ernte ich zumeist tiefes Unverständnis. Ein Drachen ist aber kein Haus oder Auto. Es ist kein Investitionsgut, sondern ein Konsumgut. Ein Spielzeug zum Kaputtmachen und danach wegschmeißen. Außerdem ist es sehr relativ, wann ein Drachen alt, wann er verbraucht und wann er nicht mehr luftfahrttauglich ist. Alte Drachen liegen wirklich noch viele herum. Etliche davon sind wie neu, weil wenig oder gar nicht geflogen. Komischerweise sind solche Geräte nach wenigen Jahren fertig, wenn sie in meine Hände fallen und bei jedem Wetter pro Jahr 50 mal oder öfter Aufbauen, Starten und Landen mitmachen müssen. Bei Hochleister-Geräten, insbesondere Turmlosen geht das besonders schnell, mit entsprechenden Folgen für realistische Gebrauchtmarktpreise.
Ich habe auch so ein altes Schätzchen herumliegen. Nächsten Monat läuft der Check ab. Schon beim letzten Mal habe ich gesagt bekommen „das Segel ist fertig“. Ich nehme ihn zu einem Flug bei angesagtem sehr starkem Wind mal wieder heraus. Ich verpatze den Start und bohre eine Flügelspitze in den Rasen neben der Rampe. Das abgeknickte Flügelrohr macht den Drachen zum wirtschaftlichen Totalschaden.
Also beschließe ich die umgehende Entsorgung. Gut dass morgen ein Werktag ist, und der Müllplatz geöffnet hat.
Allerdings ist so ein Flugdrachen ein komplexes Entsorgungsproblem. Ich werde gefragt, ob der Drachen mehr aus Metall, oder mehr aus Kunststoff-Segel besteht. Metall geht zum Recycling. Kunststoff ist ein Problem. Über das Karbon rede ich lieber gar nicht erst.
Ökologisch korrekt schneide ich mit einem Teppichmesser das Segel vom Gestänge. Dieses wandert zum Altmetall. Der Mitarbeiter des Wertstoffhofs kommt zu mir und bedankt sich. Das Mylar-Segel – werde ich aufgeklärt – ist als Faser verstärkter Kunststoff nicht recyclingfähig. Ich darf es ohne die eigentlich fälligen Gebühren beim Restmüll entsorgen.
Zwei Quickpins bleiben mir als Andenken. Und mehr Platz im Drachen-Lager.
WinDfried (Mittwoch 3. Oktober 2012)