Unter der Kaltfront

In der Chefetage der Firma, für die ich jetzt arbeite, gibt es aktive Gleitschirm-Piloten. Feierabend-Fliegen ist hier fast salonfähig. Bevor ich angefangen habe, blieben mir ein paar freie Tage. Da habe ich ein bisschen Pfadfinder gespielt und herausgefunden, dass sich auch zwischen Mainz und Kaiserslautern Flugberge finden lassen. Auf die kleinen Feierabend-Abgleiter unter der Woche, die so viel Freude machen, brauche ich also nicht völlig zu verzichten. Und die Landschaft an Nahe und Donnersberg ist wunderschön.
Seit gestern weht ein sanfter Westwind. Für heute Abend ist eine Kaltfront angesagt. Man kann den Windsprung von West auf Nord in der windfinder.com Vorhersage als Starkwindfeld gut erkennen. Auf dem Regenradar von wetter.com dagegen ist zu sehen, dass das Regenfeld weit nördlich schon endet. Das einzige, was die Wetterfrösche nicht genau ansagen, ist wie schnell die Front wohl herankommt.
Mit einem Kollegen, dem ich den Spitznamen "Legolas, der Elbenfürst" verpasst habe, bin ich zum Flugausflug verabredet. Wir fahren nach Weiler bei Monzingen zu "Wolken-Werner". Er hat Start- und Lande-Wiese gekauft und freut sich über Gastflieger. An der kleinen Westkante habe ich bei 40 km/h Wind schon einen lustigen Soaring-Flug bekommen. Mit dem Drachen ist auf der großen Landewiese mit Windsack eine sichere Landung fast garantiert.
Wir treffen zwei Gleitschirm-Piloten, die schon in der Luft waren. Wir packen die Flügel aus dem Auto. Ich habe schon angefangen mit Aufbauen, da dreht der Wind auf unstartbaren Nordwest. Ich kann den Kollegen überreden, noch nach Burgen-Veldenz zu fahren, wo es bei Nordwest super trägt. Er ist neu- gierig auf neue Fluggelände und auch mit Sightseeing allein einverstanden. Die dunklen Wolken, denen wir entgegen fahren, reden wir uns als Staubewölkung des "riesigen Gebirges" Hunsrück schön.
Vom Startplatz in Burgen aus sehen wir tatsächlich wieder die Sonne. Der Wind steht ideal an. In den Baumkonen rauscht und orgelt es: Musik in den Ohren des Drachenfliegers. Der Gleitschirmpilot runzelt sorgenvoll die Stirn.
Mit fliegenden Fingern baue ich auf - froh, dass ein Helfer dabei ist, der verhindert, dass der Drachen ohne mich wegfliegt. Weil ich um die Sensibilität des Saphir beim Start weiß, warte ich eine etwas ruhigere Phase ab und stürze mich dann in die aufgewühlte Atmosphäre.
Es bläst wie Sau, die Wolken saugen, es geht saumäßig hoch. Ich achtere hin und her, genieße die spektakuläre Aussicht ins dramatische Panorama. Ich bin froh, in einem Drachen zu hängen, mit dem ich auch mal schneller vorwärts fliegen kann. Das behütet mich davor, hinter die Kante ins kilometerweit bewaldete Nirvana geblasen zu werden. Einen Ausflug zur Burg Veldenz und zurück genehmige ich mir aber doch.
"Legolas, der Elbenfürst" hat mich vor dem Start noch gefragt, ob ich eine Kamera im Auto hätte. Er hat wohl seine Startabsicht aufgegeben. Gut, er hat Familie und Kinder. Aus der Luft sehe ich, dass er zum Auto geht und die Kamera holt. Später gibt er mir eloquente Winkzeichen. Erst verstehe ich nicht, was das soll. Soll ich schon landen, oder was ? Wir hatten doch eine Stunde als Limit ausgemacht. Und Landung des ersten, wenn der andere startet. Nein, er meint nur, ich solle weiter rausfliegen, damit ich besser ins Bild komme. Ich versuche es. Und auch weiter draußen trägt es gut. Er schießt ein paar spektakuläre Fotos. Danke! Mir tut es leid, dass er anscheinend nicht mehr in die Luft kommen wird. Ich kehre ohne viel Höhenverlust wieder über den Startplatz zurück und reite weiter den Drachen durchs Aufwindband. Heute müsste er nur noch Feuer spucken, dann wäre es perfekt ...
Während die Wolkenbänder bisher unten glatt waren, kommt nun eines, dass hässlich ausgefranst aussieht. Ein Böenkragen! Fast wie er im Lehrbuch steht. Ich flüchte turnend meine Höhe abbauend zum Landeplatz. Es wird eine "Hubschrauber-Landung". Ich stelle den Saphir über dem Landeplatz in den Wind. Und kämpfe damit, ihn gerade zu halten. Senkrecht sinke ich nach unten. Ich habe Glück und komme in einer Phase ohne Böen sanft am Boden auf die Füße.
Am Landeplatz treffen wir einige Gleitschirm-Piloten. Sie wollen Bodenhändeln. Sogar dafür ist es nun zu böig.
Ein grenzwertiger Flug: Den Spitznamen "Tornado-Winni", den Kirsten A. mir früher ungerechterweise verpasst hat, habe ich heute wohl verdient…
WinDfried (Donnerstag 07.09.2006)