Alpines Feeling im Mittelgebirge

"Die besten Flüge gelingen, wenn auf den Bergen noch Schnee liegt und in den Tälern schon frisches saftiges Grün steht." Diese alte Weisheit zur Frühlingsthermik im Gebirge sollte sich an diesem Sonntag zwischen Hunsrück und Eifel im deutschen Mittelgebirge eindrucksvoll bestätigen.
Der Windenschlepp für Sonntag wird abgesagt. Die Wiese ist nach einer Woche Dauerregen ein einziges Schlammbad. Eigentlich wollte ich heute nicht weit fahren. Doch der angesagte schwächliche Ostwind kommt schon vor meinem Fenster recht knackig daher. Das angesagte Schönwetter gibt sich tatsächlich die Ehre. Also sause ich doch nach Neumagen. Da sind auch etliche andere Drachenpiloten. Sogar eine Flugschule ist da. Die Trierer Drachenflieger haben das reichlich kassierte Startgeld sinnvoll investiert und eine schöne neue Rampe gebaut.
Am Startplatz aber herrscht schlechte Stimmung: Der Wind sei viel zu stark und vor allem unangenehm böig. Der Fluglehrer hält seine (Ex-) Kunden mit Einfachseglern mit Recht vom allzu großen Risiko ab.
In aller Ruhe baue ich meinen Nasenbär auf. Nachdem auch die beiden aufgebauten turmlosen Flieger eher zögerlich scheinen, gerate ich in die Rolle als erster zu starten. Auf der Rampe ruckelt es wirklich heftig. Und der Saphir zeigt die bekannten Schwierigkeiten. Nur weil ich drei kompetente Starthelfer habe halte ich es durch, auf der Rampe zu warten bis eine kurze Phase der Wind gleichmäßig und sanft von vorne kommt. Von beiden seitlichen Starthelfern höre ich: "frei". Den Drachen habe ich praktisch ohne Gewicht über mir. Also renne ich los, mit voller Energie, geradeaus in das Aufwindband direkt vor der Rampe. Sofort werde ich senkrecht hoch gepumpt, und muss gleich durchziehen, um nicht rückwärts die Rampe zu überfliegen Richtung Wald.
Beim Gurtzeugschließen erwischt mich die erste Bö und ich taumele durch die Gegend, wie eine Nußschale auf einer Stromschnelle. Dass es sportlich rau wird, konnte ich vorher wissen. Dafür geht es aber ordentlich hoch. Die Aussicht ist auch traumhaft. Die Frühlingssonne beleuchtet die Landschaft und lässt die Mosel glitzern. Auf den Höhen des Hunsrück schim- mert noch der Schnee weiß. Schöne Kumuli treibt der Wind heran. Ab 300 m über dem Startplatz merke ich, wie die saugen. Yeah, heute fliege ich Wolkenthermik.Sogar eine Wolkenstraße bildet sich.
Bock auf Streß mit Streckenfliegen und Abholen / Zurücktrampen habe ich nicht, heute am Sonntag. Also fliege ich gegen den Wind, den Wolken entgegen. Unter der Wolkenstraße kann ich ohne Sinken im Delfinflug einfach geradeaus vor fliegen. In den Bereichen stärksten Steigens zentriere ich 3 m/s Steigen bis es mich über die Rampe zurück versetzt hat. Hier oben ist es auch nicht mehr so bockig. Ich kann die Kamera rausfummeln für ein paar Schnappschüsse.
Der Bordcomputer rechnet mir beim Kreisen eine Windgeschwindigkeit von 28 km/h aus. Also noch nicht jenseits von gut und böse. Ich kann heute den ganzen Kessel der Moselschleife ausfliegen. Bis zur Brücke von Piesport schaffe ich es zuerst. Später steht eine Wolkenreihe mehr in südöstlicher Richtung. Da komme ich bis über die Kirche von Neumagen.
Das geht alles total entspannt, obwohl es mit Außenlandemöglichkeiten über den Quadratkilometern an Weinbergen übel aussieht. Wenn ich kein Steigen mehr finde, sause ich einfach mit 80 km/h über Grund zurück zum Hang ins Aufwindband und tanke neue Höhe.
Nach meinem Start muss der Wind noch deutlich unangenehmer geworden sein. Von oben beobachte ich einen der anderen Drachen eine Viertelstunde auf der Startrampe. Er kommt erstmal nicht in die Luft. Schade, ich hätte gerne Gesellschaft gehabt.
Stattdessen fliegt unter mir ein quietschgelber ADAC-Hubschrauber durch. Was will der hier? Noch ist bei mir alles completto. Aus der Hüfte schieße ich ihn ab - mit der Kamera.Bin gespannt, ob ich ihn eingefangen habe. Er cruised eine Runde um den Startplatz und fliegt dann weiter Richtung Trier.
Nach drei Stunden bin ich ziemlich erledigt. Hunger, Durst und Druck auf der Blase treiben mich zum Landeplatz. Auch über dem „fliegt es“ noch ohne Sinken. Also schraube ich den Saphir mit scharfen Steilkurven nach unten. Andere Turnübungen unterlasse ich lieber, um nicht von der nächsten Bö in den Rückenflug geworfen zu werden. Auch die Landeeinteilung erfordert noch Kreativität. Ich fliege nicht über die Bäume oder den Fluß und auch keinen Gegenanflug. Stattdessen achtere ich gleitschirmmäßig ab, bis der Boden nah genug erscheint für einen kurzen geraden Endanflug. Auch auf der Neumagener Landewiese steht knöcheltief das Wasser. Zum Glück kann ich eine Radlandung vermeiden. Pitsch, patsch.
Ich habe noch nicht richtig angefangen mit Abbauen. Da kommen die Fliegerkollegen zum Abholen. Fantastisch, wie die Fliegerkameradschaft in Neumagen funktioniert, Danke, unbekannterweise!
Oben bin ich dann Starthelfer für zähe und geduldige. Der Wind hat seit heute Vormittag tatsächlich noch zugelegt. Erst mit Einsetzen der Abendflaute kommen noch zwei Drachen in die Luft.
So wie heute habe ich mich das letzte Mal nach dem Flug in Fiesch gefühlt: hochalpin, kaputt. Auf der Heimfahrt durch den Idarwald bekomme ich noch waschechtes Alpenglühen zu sehen. Von wegen "Flachland" – Mittelgebirge ist auch Gebirge, nur nicht so lebensfeindlich!
Nachtrag (KEIN Aprilscherz!):
Genau eine Woche später, am Sonntag 1.4.2006 bin ich wieder in Neumagen. Heute fühlt sich alles ganz anders an. Die Luft ist warm und voll Frühlingsduft. Kein Wölkchen ist am Himmel. Aber der Wind ist doch kräftig, wie angesagt. Ich bin mit dem Foil da und habe die gleichen Startprobleme wie letzte Woche mit dem Saphir. Da dachte ich noch, das liegt am Drachen. Aber auch etliche andere Piloten beklagen, dass sie ihren Drachen auf der Rampe bei dem kräftigen Wind nicht in die Balance bekommen. Die neue Rampe sieht zwar kosmetisch schön aus. Aber sie steht zu weit vorne im freien Luftraum. Zusätzlich wird der Flügel von rechts schon frei ange- strömt, während links noch der Boden in der Nähe ist.
Ich haue mich etwas eierig raus und bekomme einen langen und hohen Soaring-Flug mit thermischen Einlagen (Vollkreise im Steigen). Insgesamt ist es heute lange nicht so ein wilder Ritt, wie letzte Woche.
Am Startplatz höre ich Gegrummel von einem angedachten Startverbot bei stärkerem Wind:
Liebe Fliegerfreunde vom Trierer Verein!
Euer Gelände Neumagen ist neben Porta Westfalica eines der wenigen idealen Starkwindgelände in Deutschland. Es wäre schon pervers im engsten Wortsinn (verkehrt, falschrum), wenn hier kein Start bei Starkwind mehr möglich sein sollte. Verbote nützen gar nichts. Wie wäre es mit einer Pflicht, nur mit Starthelfer zu starten? Oder mit einer Pflicht Starthilfe zu geben ??
Fakt ist, Eure neue Rampe braucht dringend Überarbeitung, damit sie aus ihren Kinderkrankheiten wieder raus kommt. Die einfachste Lösung wäre die von Eurem Gelände in Mahring-Noviand. Die Rampe weg, ein geglätteter Schotterhang hin, dann können auch Anfänger wieder fliegen ...
Wenig begeistert, Euer WinDfried
(Sonntag 25.3.2007)