In Sexten am Helm

Südtirol ist groß. Und es bietet im Spätherbst die Chance auf Wetterglück. Wer mich kennt, weiß dass ich gerne versuche, Massenaufmarsch-Gebiete zu meiden.
Der Vorschlag zu einer Herbstreise nach Sexten kommt gar nicht von mir, sondern von meinem Schatz, die endlich mal Zeit hat und mit mir in Wander-Urlaub fahren will. Das Fliegerjahr 2008 war sehr ergiebig. Inzwischen sind mir die Stunden mit ihr wertvoller als die paar Stunden in der Luft, die vielleicht noch herauszuholen wären.
Aber die Erlaubnis einen Drachen mit zu nehmen bekomme ich doch. Tageweise abwechselnd Wandern oder Fliegen ist unser Deal. Gut bei eventuellem Anfall von Muskelkater oder Höhenrausch.
Die Sextener Dolomiten mit ihrer senkrechten Schichtung bieten fantastische Anblicke für´s Auge. Höhenunterschiede von fast 2000 m zwischen Gipfeln und Talgrund bilden einen eigenen Superlativ. Vor etwa einem Jahr ist ein Teil des Einser-Kofel eingestürzt. Mehr Gesteinsmassen als am 9/11 in New York wurden bei dem Felssturz bewegt und haben die ganze Gegend mit Staub bedeckt.
Am Deutschen Nationalfeiertag, unserem Anreisetag, schüttet eine Kaltfront Deutschland mit Regen voll. In der Nacht schlägt sie auf die Südalpen durch und zuckert hier die Berge mit Schnee. Das verschönert noch die Impressionen bei unserer ersten Orientierung. Heute, am Sonntag, fährt die Helmbahn den letzten Tag in der Sommersaison. Wir wollen das noch nutzen. Praktischerweise ist auf der Rückseite der Front reichlich frische Kaltluft zugeflossen und belebt die Atmosphäre. Ich schleppe den Fexi, meinen Bergsteiger-Drachen mit und lasse ihn am Startplatz liegen. Zuerst wollen wir den Spaziergang zum Helm-Gipfel angehen. Die Südwest-Flanke wird am Nachmittag sowieso erst richtig angestrahlt.
Warum der Helm, früher ein echtes Drachenflug-Paradies, inzwischen von Deltapiloten gemieden wird, ist mir jetzt auch klar. Der Wanderweg zum Startplatz ist mehrere Hundert Meter weit. Und das ist nicht der beste Startplatz. Weiter oben wären viele bessere. Dabei ist die Seilbahn super bequem. In die große Gondel passen locker auch längere Drachen-Pakete hinein. Meine Fexi-Lady, brav für Italien auf 4 m kurz gepackt sowieso.
Im weichen Schnee baue ich gemütlich auf. Am Aufbauplatz steht auch direkt ein Kruzifix, zur Erinnerung an letzte Dinge. Zum „Helm- Kehraus“, der Saisonabschluss-Party hat sich reichlich Publikum eingefunden. Als die ersten Gleitschirme Höhe gewinnen, zwirbele ich mich durch die Startschneise zwischen Fichten und Lärchen. Im verleeten Südkessel werde ich erstmal nur durchgebeutelt und ziehe es nach kurzer Zeit vor zu fliehen. Immerhin schießt Steffi ein paar schöne Fotos - Ihr Meisterschuss zeigt einen kurbelnden Funfex-Drachen vor dem Gipfel der Dreischusterspitze, Vielen Dank.
Schon auf Dumdideldei beim Abgleiten meiner Höhe auf den Landeplatz konzentriert finde ich auf halber Höhe, weg von allen Gleitschirmpulks über einer Skihütte einen gemütlichen Bart, der mir lange Zeit im Null-Schieber ein Halten der Höhe gewährt.
Dann kommt eine fette Ablösung, die mich fast in der Talmitte über alle anderen Fliegers hinauf befördert. Rüber zum Helmgipfel versuche ich es, aber da erwischen mich wieder unmotivierte Turbulenzen. Also husche ich wieder zurück zu meiner sicheren Skihütte. Das ganze funktioniert drei Mal. Komischerweise ohne, dass mir je ein Gleitschirm folgen würde. Sonst fliegen die immer sternförmig auf mich zu, wenn sie mich steigen sehen.
Nach eineinhalb Stunden will ich die Geduld meiner Gefährtin nicht länger auf die Probe stellen und fliege über den Landeplatz. Ein Schnappschuss von der malerisch hübschen Kirche in Sexten gelingt mir auch noch.
Es folgen Tage mit Wanderungen im strahlenden Sonnenschein. Wir können vermuten, statt einer Woche ein ganzes Jahr hier gewesen zu sein: Wir sind im Winter angekommen und im Herbst wieder abgereist.
WinDfried (Sonntag 5. Oktober 2008)