Im Reich der unbeschränkten Ausreden

Das Streckenflieger-Paradies Greifenburg ist die nächste Station auf meiner „Fliege jeden Tag“-Rundreise. Endlich mal will ich andere Piloten treffen, die meine Begeisterung teilen und besser Drachen fliegen, als ich.
Ich freue mich, dass ich Udo und Petra treffe, ein fröhliches Fliegerpärchen. Mit Udo habe ich einen Teil der Höhenflug-Ausbildung gemeinsam absolviert. Oft haben wir uns an der Mosel schon in der Luft getroffen.
Dienstag ist ein minorer Tag mit fast vollständiger Wolken-Bedeckung auf mehreren Etagen. Wir erfreuen uns an Abgleitern über die immerhin 1100 m von dem luxuriösen Drachenstartplatz.
Wir fotografieren uns alle gegenseitig beim Start, in der Luft und am Landeplatz.
Udo landet und ich höre on ihm den coolen Spruch: „Ich konnte nicht auf Strecke gehen, meine Akkus vom GPS waren leer“ und schmeiße mich weg vor Lachen. Am nächsten Tag versuche ich selber weg zu fliegen. Am übernächsten Berg Richtung Westen falle ich aus dem schwächlichen Bart, trotz voll aufgeladenem GPS. Ich sinke durch bis auf Höhe der bewirtschafteten Almen. Nur mit viel Mühe kann ich mich gegen den Talwind zurück zum Landeplatz und über die dortige Hochspannungsleitung hungern.
Drachenfliegen ist auch Charaktersache. Die Gespräche am Greifenburger Lande- platz liefern reichlich weiteres Material für meine „Hitliste der blöden Ausreden“.
„Ich war schon so tief“ höre ich als Statement nach einer Radlandung. Stimmt, in der Kurve zum Endanflug hatte der Flieger überraschend viel Sinken und tat gut daran, den Drachen waagerecht auszurichten ohne noch an Aufrichten, Umgreifen, Ausgleiten und Ausstoßen zu denken.
„Da war ein Gleitschirmflieger im Weg.“ Den haben wir alle gesehen, aber beim Ansehen der Video-Aufnahme rufen wir im Chor „rausdrücken!“ als der richtige Moment sichtbar wird und der Pilot ihn erkennbar verpennt.
„Das mache ich schon seit 30 Jahren so.“ Ein älterer Pilot fürchtet mit seinem Nasensporn-Drachen offenbar das Einbohren der von Bautek beworbenen „Knautschzone“. Er landet mit den Beinen voraus auf Rädern und seinen Gesäß-Backen. Das mag auf einem Golfrasen, wie in Greifenburg ja gehen. Auf meinen medizinischen Hinweis, bei einem Stein oder gefrorenen Maulwurfshügel im Wege würde von Knöchel über Schienbein und Wadenbein bis hinauf zum Oberschenkel-Kopf irgendetwas brechen, bekomme ich den obigen Spruch zu hören. Seine nächste Landung geht dann liegend auf die Räder. Da haben wenigstens zuerst die Bügel-Räder Bodenkontakt und nicht sein Körper. Die Knie könnte man noch durch Knie-Schützer vor Schlimmerem bewahren.
„Das ist ja so böig!“ ist mein persönlicher Kandidat für einen Top Platz auf der Hitliste. Er stammt von einem lieben Vereins-Kamerad. Jaa, zum Gleitschirm-Fliegen schon, möchte ich schreien. Nimm endlich mal wieder Deinen Drachen mit. Damit macht es Spaß, stärkeren Wind abzureiten! Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass es im Siebengebirge immer dann zu böig ist, wenn ein Kater von exzessivem Alkohol-Abusus am vorhergehenden Abend im Spiel ist.
Auf englisch geht es noch markanter: „My VG line was entangled.“ Meine Leine der variablen Geometrie war verheddert.
Eine sehr unangenehme Situation, wenn man auf dem Weg zur Landung ist und den Drachen nicht mehr entspannen kann. Das endet gerne in einer Schepperlandung. Ein anderer Fliegerfreund hat sich bei so einer ähnlichen Aktion eine Hand gebrochen. Allerdings ist das Problem durch ordentlichen Vorflug-Check leicht zu verhindern.
„My harness zipper blew open.” Mein Gurtzeug-Reißverschluss ist aufgeplatzt.
Einen ultralangen Rekord-Flug kann man damit nicht mehr zu Ende fliegen, aber eine Wettkampf Aufgabe, die kaum zwei Stunden in Anspruch nähme, schon.
Meine Einstellung dazu ist: Coole Sprüche am Landeplatz gehören zur Folklore in der Fliegerszene. Ich brauche zu niemandem ehrlich zu sein. Außer zu einem einzigen Menschen, nämlich mir selber. Ohne elementare Ehrlichkeit zu sich selber wird die Fliegerei gefährlich.
„Mal wieder nur verschnarchte Rindviecher auf der Straße…“ habe ich als Ausrede für meine späte Ankunft an der nächsten Station dieser Reise auf Lager und den Foto-Beweis in der Kamera. Der aufmerksame Leser dieser Seiten kann damit schon erraten, wo mein Weg entlang führte.
WinDfried (Mittwoch 6. August 2008)